Montag, 27. August 2012

Indiana Lex und das Königreich des Elefantenschädels

Indien - das ist doch das Land, wo die Frauen Saris und die Männer Kurtas tragen. Wo es keine Verkehrsregeln gibt und ständig alles hupt. Wo die Kühe auf der Straße herumlaufen und heilig sind. Wo man überall Bettler trifft und arme Kinder in Banden als Bettler arbeiten. Wo die Menschen in Kasten eingeteilt sind. Wo alle Leute freundlich und friedlich sind. Wo man an bunte Götter mit vielen Armen glaubt. Wo einen die Bürokratie in den Wahnsinn treibt. Wo man gerne Curry isst

Das ist doch Indien, oder? - Ja,  natürlich! Aber ist das ganz Indien? Nein.



Nachdem ich in meinem letzten Blogpost hochgeladen hatte, schrieb mich schon einen Tag später jemand an und fragte, wann sich mein vom Kulturschock in Erstaunen versetztes und in Verwirrung gestürztes Herz in einem Bericht über das exoktische, "andere" Indien ausheult.  Gut, ich gebe zu - es war anders formuliert. Doch die Frage nach den ersten Eindrücken war der Kern und ich hätte diese schon vor Tagen niederschreiben können. Aber ich frage mich: vermittle ich unter dem Gesichtspunkt, dass ich gerade aus Deutschland komme und das Land noch gar nicht kenne, so nicht ein unvollständiges Bild?* Schließlich sind mir die Zusammenhänge der Eindrücke höchstens aus Büchern und Reiseführern bekannt, ich möchte aber lieber etwas eigenes schreiben und nicht das, was man sowieso nachlesen kann. 

Die Verlockung, sich selbst als "Abenteurer in einem fremden Land" oder als "Leidender" nach dem Motto: "Diese verschlampten Inder, alle total unorganisiert, alles dreckig, alles stinkt"** darzustellen ist groß. Dazu gäbe allein die Zettelwirtschaft, die man zur Registrierung zu verwalten hat, Anlass. Wohnungsvertrag, Pass- und Visakopie, A- und B-Form, C-Form, Versicherung von Maher für das Police Commissioner Office, Certificate of Residence, Information of Tenant / Temporary Resident, Undertaking for Foreign Registration Office, Stromrechnung des Hauses, Recommendation letter, Sr. Lucys Passport 1 und 2 und Sr. Lucys Stromrechnung wollen besorgt sein, davon 5 ausfüllen, 20 mal unterschreiben und das ganze noch 4 Mal kopieren bis der Dokumentenberg einem über den Kopf wächst - und man schließlich vom Police Commissioner Office doch weggeschickt wird, weil man alles in zweifacher Ausführung und eines in Original und nicht als Kopie braucht. 

Aber so etwas mache ich nicht. Das ist doch billig. Und bevor ich mich da verstricke, konzentriere ich mich lieber auf die kleinen Dinge. So stieß ich mir heute zwei Mal den Kopf. Das erste Mal bei Corinna*** an einer Dachkante , das zweite mal an einem Stuhl. Wie, an einem Stuhl? Ja! Ich sitze unschuldig auf dem Balkon und tue gerade nichts, als mich aus heiterem Himmel ein weiß gepolstertes Sitzmöbel am Kopf streift. Nach einem Blick ins Gesicht des grinsenden Vermieters, der unten den Stuhl in Empfang nahm, war mir klar: über mir wird die Wohnung ausgeräumt.

Nun gut, ganz um Berichte über Land und Leute werde ich nicht herumkommen. Ich werde wohl auch ein paar Klischees bedienen, die man wahrscheinlich in jedem Reisebericht eines Westlers, der nach Indien kommt, finden kann - doch ich möchte hinzufügen: es sind alles meine persönlichen, subjektiven Eindrücke - und ich denke nicht, dass es mir zusteht, bestimmte Wesenszüge des indischen Alltags zu beurteilen.

In diesem Sinne sollte ich doch noch etwas zur Einleitung sagen - bevor das im Raum stehen bleibt.




Tatsächlich sehe ich häufig Frauen in Saris - das muss aber nicht die Regel sein. Die Frauen tragen durchaus andere Kleidung, viel Haut wird dabei aber selten gezeigt - es kommt wie überall darauf an, wo man ist. 



Dass alle Männer Kurtas tragen, halte ich jedoch für ein Gerücht. Ich finde, dass sich hier das langärmlige Hemd oder das T-Shirt durchgesetzt hat. Was man jedoch gar nicht sieht, sind kurze Hosen. Ich wurde in der Hinsicht vorgewarnt - kurze Hosen werden hauptsächlich mit Kindern in Verbindung gebracht - und das kann dann schnell peinlich werden. 




Verkehr - alles, was du davon gehört hast, ist wahr!



Kühe? Ja, gibt es. Worüber ich aber viel häufiger stolper sind Straßenhunde - inklusive Haufen. Ich taufe die Art canis lupus familiaris punearis - der gemeine gemeine puneanische Straßenköter (ja, zweifach gemein). Gut, ich gebe zu: er tut nichts. Liegt sowieso nur rum.

Bettler sind ein eigenes Thema. Ich habe mich einmal kurz mit Nikil**** darüber unterhalten - Betteln ist hier ein  Beruf. Auf die Frage, wie er denn auf sie reagiert, sagte Nikil: "I don't see them". 

Das Kastensystem ist im Denken hier präsent - Inder erkennen die Kaste auch häufig am Namen. Direkte Auswirkungen auf das öffentliche Leben habe ich aber noch nicht bemerkt. 

Es gibt einige Unterschiede zwischen indischem und deutschem Alltag sowie Verhalten. So legt man großen Wert auf persönliche Beziehung - im Job, beim Einkauf und beim Erfüllen aller erdenklichen Wünsche. Je besser man vernetzt ist, desto mehr kann man erreichen. Deshalb fällt es nicht schwer, hier Kontakte zu schließen. 




Beispiel: Corinna gibt mir die Nummer eines Gitarrenlehrers - ich  ruf also an, er sagt "kein Problem, komm vorbei" und gibt mir die Adresse. Ich versteh kein Wort, lass es mir schließlich buchstabieren. Dann such ich einen Rikshafahrer, lehne den ersten ab, der einen unverschämten Preis fordert und finde schließlich einen. Der kennt zwar die Adresse nicht (oder versteht mich nicht), will mich aber mit Riksha-Meter fahren. Zufällig treff ich einen Stoffhändler, den ich den Tag davor ins einem Laden kennengelernt habe - er kann weiterhelfen. Ich rufe also nochmal den Gitarrenlehrer an, der dem Stoffhändler erklärt, wo der Rikshafahrer hin muss. Und nachdem der Stoffhändler alles erklärt hat, gehts los. Unterwegs halten wir noch zweimal und fragen die Passanten oder dortigen Händler, wo es lang geht - alles kein Problem. Und am Ende komme ich tatsächlich beim Gitarrenlehrer an, der, wie sich herausgestellt hat, zu weit weg wohnt.




Religion - davon gibt es viele, manchmal vermischt sichs auch und am Ende kommt es doch nur darauf an, dass alle glücklich sind. So scheint die Grundstimmung zu sein - natürlich abgesehen von den strenggläubigen Muslimen. Atheisten habe ich in der jüngeren Generation ebenfalls getroffen, es ist also eine bunte Mischung. 



Über die Bürokratie werd ich bestimmt noch genug erzählen.




Und zum Essen zunächst so viel: es ist oft sehr scharf, oft sehr süß, aber immer verdammt lecker!

Ich bin sicher, dass ich zu all den Themen später noch wesentlich mehr schreiben kann und werde. Jetzt trinke ich aber erstmal einen Chai. Ciao!



* ich empfehle: Chimamanda Adichie - The Danger Of A Single Story
** Das wäre übrigens eine Lüge - Indien hat im großen und ganzen einen wundervollen Geruch. Anders als in vielen Teilen Chinas *hust*
***  Corinna ist unsere deutsche Mentorin. Sie lebt seit einigen Jahren mit ihrem indischen Mann Nikil in Pune. Beide sagen, sie seien sich manchmal nicht sicher, wer eigentlich deutsch bzw. indisch ist

**** Falls jemand zu faul war, die Sternchen zu lesen: die Erklärung zu Nikil findet man bei ***!
***** fünfspurig ist eine grobe Schätzung meinerseits. Es gibt keine Fahrbahnstreifen und so tendiert die Fahrbahnbreite von vier- bis siebenspurig

1 Kommentar: